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Nahrungsergänzungsmittel: Interview mit drei Experten

Nahrungsergänzungsmittel: Interview mit drei Experten

Der Trend zu Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Gerade im Fitnesssport steht dieses Thema immer wieder im Vordergrund und somit die Hoffnung, das selbstgesteckte Ziel schneller und effektiver erreichen zu können. Die NADA Austria hat aus den verschiedenen Fachrichtungen Ernährungswissenschaften, Medizin und Pharmazie drei Expert:innen um ihre Meinung zum Thema befragt.

Was sagen die Expert:innen zu diesem Trend?

Mag. Isabella Grabner-Wollek empfiehlt den Fokus auf selbst zubereitete Mahlzeiten zu legen, da „Essen mit Genuss und Freude verbunden“ werden soll. „Die Bioverfügbarkeit der Nährstoffe aus den Lebensmitteln ist sehr hoch“, aus diesem Grund empfiehlt die Ernährungswissenschafterin Nahrungsergänzungsmittel nur in Ausnahmesituationen einzusetzen.
Auch Pharmazeut Dr. Thomas Riedl weiß, dass Athlet:innen im Leistungssport auf maßgeschneiderte Speisepläne als Teil ihres Trainingsplans vertrauen können. Im Breitensport hingegen wird der Rat eher im Internet gesucht und auch dementsprechend gehandelt, wodurch „bei der Auswahl von Supplementen eher nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen wird.“
Sportmediziner Dr. Robert Fritz denkt, „dass es in der Natur der Menschen liegt, mit möglichst wenig Aufwand das Maximum erreichen zu wollen. So hat sich unsere Gesellschaft entwickelt. In der Wirtschaft ist das nicht anders als im Sport. Nahrungsergänzungsmittel können eine sinnvolle Ergänzung in einem stressigen Alltag sein, wenn die Basisernährung jedoch nicht passt, sind Nahrungsergänzungsmittel mit Sicherheit nicht die Lösung.“ Er gibt vor allem zu bedenken, dass das Internet voll mit selbsternannten Experten ist, die viele Halbwahrheiten verbreiten. „Besonders im Fitnesssport bedarf es einer umfassenden Aufklärung.“

Mythos oder Fakt 1: „Muskelaufbau ist mit normaler Ernährung nicht möglich!“

Im Fitnesssport wird häufig die Frage aufgeworfen, ob beispielsweise Muskelaufbau und -definition mit normaler Ernährung möglich ist.  Dr. Robert Fritz ist sich dabei sicher, dass es umsetzbar ist. „Es sind jedoch keine übertriebenen Muskelberge möglich, die aber nur ganz wenige wollen. Ein athletischer weiblicher oder männlicher Körper ist mit richtigem Training definitiv möglich. Wenn sich der Erfolg nicht einstellt, liegt es viel häufiger an Trainingsfehlern als an einer Minderversorgung an Proteinen. Da kann mit einer professionellen Beratung oft viel erreicht werden.“
Mag. Isabella Grabner-Wollek merkt dazu noch an, dass insbesondere „das Timing der Nährstoffzufuhr zu beachten und sicherzustellen ist, damit der Muskel rund um das Training gut versorgt ist.“
Dr. Thomas Riedl ergänzt, dass auch Trainingsumfang und Intensität zu berücksichtigen sind. Bei einer Supplementierung mit Eiweiß ist auch der Eiweißgehalt der Hauptmahlzeiten zu bedenken. Jedenfalls „bringt eine tägliche Eiweißzufuhr von mehr als zwei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, außer einer metabolischen Stickstoff-Belastung für die Niere, für den Muskelaufbau nichts.“

Mythos oder Fakt 2: "Ohne Nahrungsergänzung ist eine ausgewogene Ernährung nicht mehr möglich."

Nahrungsergänzungsmittel sind bereits in den Regalen von Supermärkten alltäglich geworden. Gehören diese also inzwischen zur normalen Ernährung in der heutigen Zeit dazu? Was meinen die Exper:innenn zur wahllosen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln.
Dr. Fritz hat dazu eine eindeutige Meinung. „NEM gehören in die Hand von Fachleuten und sollten nicht einfach frei am Markt in teilweise erschreckend hohen Dosierung erhältlich sein. Da sind Sportärzt:innen, Pharmazeut:innen, Trainer:innen, Ernährungswissenschafter:innen/Diätolog:innen gefordert, richtig aufzuklären und richtig zu beraten und die Menschen sollten mehr ihren Hausverstand nutzen und nicht unkontrolliert Präparate schlucken, die sie teilweise aus dem Internet bezogen haben und von denen sie keinerlei Ahnung haben, welche Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen sie haben können. Das betrifft aber die „Normalbevölkerung“ mindestens genauso, wie Sportler:innen. Der Gedanke der „Leistungssteigerung“ durch NEM beginnt in der Schule und existiert genauso im Berufsleben. Da ist die Sportwelt mit Sicherheit keine Ausnahme.“
Dr. Riedl weist darauf hin, dass besonders „auf Doppelmedikationen zu achten ist, insbesondere, wenn ärztliche Therapien vorgeschrieben sind.“ Zudem weist er auch auf die Folgen von Überdosierungen hin, wie beispielsweise bei „hoch dosierte Zinkpräparate über einen längeren Zeitraum, welche zu einer Verarmung an Kupfer führen könnten“ oder eine „unkontrollierte Zufuhr von Eisen, welche eine nachteilige Radikalbildung im Organismus auslösen kann“.
Auch Mag. Grabner-Wollek sieht Risiken in der wahllosen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, denn neben der Überdosierung, die sich durch „einerseits bereits ausreichend über die Ernährung aufgenommenen“ Nährstoffen und „andererseits durch die Kombination verschiedener Präparate“ ergeben kann, auch das Risiko einer Verunreinigung besteht. „Nicht immer sind nur die Substanzen enthalten, die angegeben werden, sondern Präparate können auch mit Substanzen wie Stimulanzien oder anabole Steroide kontaminiert sein.“

Mythos oder Fakt 3: „Nahrungsergänzungsmittel gehören zum Fitnesssport dazu“

Doch ab wann macht es aus Sicht der Experten für eine:n Fitnesssportler:in Sinn zu Nahrungsergänzungsmitteln oder diätetischen Lebensmitteln zu greifen? Ab welchem Trainingsumfang ist eine Ergänzung der normalen Ernährung notwendig?
Dr. Robert Fritz sagt dazu klar: „Nahrungsergänzungsmittel machen Sinn, wenn sich durch eine Blutuntersuchung ein gemessener Mangel zeigt, der nicht durch eine Ernährungsanpassung ausgeglichen werden kann.“ Ein Beispiel hierfür wäre ein „Eisenmangel durch hohe Trainingsumfänge, starke Menses oder auch vegetarische/vegane Ernährung.“ Ein hoher Trainingsumfang allein erfordert keine Ergänzung der normalen Ernährung, so der Mediziner. Bei gleichzeitig hoher Intensität dagegen muss die Nährstoffversorgung entsprechend angepasst werden, damit diese nicht zu Lasten der Regeneration geht.
Dr. Thomas Riedl ergänzt hierzu, dass sich die Frage stellt, ob der:die typische Breitensportler:in diesbezüglich über das Wissen und die notwendige Zeit zur Kostplangestaltung verfügt. Für Dr. Riedl macht es außerdem Sinn, wenn durch ein intensives Training das Immunsystem beeinträchtigt ist. Dieses ist messbar an Entzündungsreaktionen, die über eine laboranalytische Untersuchung festgestellt werden können. „Es macht daher aus meiner Sicht Sinn, das Training mit immunaktiven Mikronährstoffen und Schadensbegrenzern wie Antioxidanzien zu begleiten.“ 
Mag. Isabella Grabner-Wollek weist noch darauf hin, dass primär die Verfügbarkeit von Nährstoffen entscheidend ist. „Nahrungsergänzungsmittel sind nur dann empfehlenswert, wenn aus verschiedenen Gründen (fehlende Zeit, Unverträglichkeiten, …) die Nährstoffzufuhr nicht gedeckt werden kann.“  

Mythos oder Fakt 4: „Zeitmangel vs. richtige Ernährung“

Beim Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln aus Zeitmangel nach einer Trainingseinheit mit dem Fokus auf Muskelaufbau sind sich die Expert:innen einig. 
Dr. Robert Fritz sieht es völlig in Ordnung, „wenn ein voll berufstätiger Mensch zu Eiweißpulver oder Riegel greift, wenn er spät am Abend endlich Zeit für sein Training findet, dann aber keine Lust oder keine Möglichkeit mehr hat, im Vorfeld oder im Anschluss eine entsprechende Mahlzeit zuzubereiten.“ Auch im Wettkampf-Ausdauersport sieht er den Einsatz von Nahrungsergänzungsmittel (Sportgetränke, Gels, Riegel) als „eine sinnvolle Möglichkeit, den sehr hohen Energiebedarf unter Belastung auszugleichen. Das ist mit normalen Lebensmitteln nur sehr schwer bis überhaupt nicht möglich. Allerdings muss die Qualität der Produkte einwandfrei sein.“
Auch Dr. Thomas Riedl stimmt dem Einsatz in diesem Aspekt zu, „denn die möglichst rasche und vollständige Regeneration ist ein integrativer Bestandteil aller Trainingspläne.“
Mag. Isabella Grabner-Wollek ergänzt hierzu, dass „der Zeitpunkt der Nährstoffzufuhr beim Muskelaufbau eine wichtige Rolle spielt. Wenn dies aus Zeitgründen nicht möglich ist, können Nahrungsergänzungsmittel hilfreich sein. Empfehlenswert ist jedoch, auf getestete Nahrungsergänzungsmittel* (siehe später) zurückzugreifen.“

Mythos oder Fakt 5: „Nahrungsergänzungsmittel sind der einzige Weg, um mich meiner Sportart entsprechend zu ernähren.“

Das Thema „sportartspezifische“ Ernährung ist ein weites Feld und für Laien oftmals zu komplex. Nahrungsergänzungsmittel bieten hierzu scheinbar einfache Lösungen vor allem was die Ernährung vor, während und nach dem Sport angeht. Was raten die Expert:innen hierzu Sportler:innen in den verschiedenen Leistungsniveaus?
Dr. Riedl betont, dass es dabei auf die Sportart ankommt und ob es sich dabei um „ein Ausdauer-, ein reines Krafttraining oder eine Mischung davon“ handelt. Dementsprechend gibt es auch „Empfehlungen zur jeweils günstigen Relation der Makronährstoffe Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate. Wenn sich die trainierende Person darauf versteht, kann sie ihren Speiseplan entsprechend gestalten.“
Dr. Fritz sieht sowohl in der Sporternährung als auch beim Thema Nahrungsergänzungsmittel eine ähnliche Komplexität. „Der Markt und speziell das Internet ist voll mit Halbwahrheiten und Verkaufstricks für bestimmte NEM. Genauso viele Fehlinformationen kursieren im Internet und in der Boulevardpresse rund um das Thema Ernährung.  Da kennen sich die meisten Sportler:innen auch nicht mehr aus. Nach low carb und no carb kommt Paleo, ketogene Ernährung und seit „The Gamechangers“ haben wir den Hype der veganen Ernährung. Da ist wenig Wissenschaft und viel Pseudowissenschaft im Umlauf. Dafür gibt es Expert:innen, die richtig beraten müssen. Diese Experten sollten aber auch in ihren Berufszweigen geschützt werden. Wenn sich derzeit jede:r Trainer:n oder diplomierte:r Trainer:in nennen darf, nachdem sie:er einen Wochenendkurs besucht hat, wo das Thema Ernährung und NEM einmal für eine Stunde gestreift wurde, unterstützt das leider die breite Pseudowissenschaft und die Verbreitung von Halbwahrheiten. Was rate ich den Sportler:innen: Lasst euch professionell beraten!“
Mag. Grabner-Wollek sagt dazu auch ganz klar: „Sportler:innen sollten sich auf alle Fälle von einer qualifizierten Fachperson beraten lassen, um die Ernährung individuell und personalisiert auf das jeweilige Ziel und Training abzustimmen.“

Mythos oder Fakt 6: „Nahrungsergänzungsmittel sind besser als Fertiggerichte“

Auch bei der Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln unter dem Aspekt „Convenience Food“ sind sich die Expert:innen einig.
„Unverarbeitete Lebensmittel und selbst zubereitete Mahlzeiten sollten den Hauptanteil der Ernährung ausmachen. Nahrungsergänzungsmittel können nach Bedarf und Empfehlung einer Ernährungsfachkraft punktuell eingesetzt werden, sollten aber keinesfalls ein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung darstellen“, so Mag. Isabella Grabner-Wollek.
Dieser Meinung ist auch Dr. Robert Fritz: „Bei der Basisernährung sollten so wenig „Fertiggerichte“ wie nur irgendwie möglich verwendet werden. Nahrungsergänzungsmittel sollten einen hohen Qualitätsstandard der Rohstoffe und möglichst wenig Zusatzstoffe enthalten. Unter diesem Gesichtspunkt kann hochwertige Sportnahrung in gewissen Situationen sinnvoller sein als klassische Fertiggerichte und Riegel aus dem Supermarkt. Eine vernünftige Basisernährung kann dadurch aber nicht ersetzt werden.“
Auch Dr. Thomas Riedl ist der Meinung, dass es sinnvoller ist „bei der gewohnten, selbst bereiteten Kost zu bleiben oder sich sogar aktiv mit Speiseplänen für Sportler:innen zu beschäftigen.“ „Convenience Food“ dagegen lehnt er ab, da es durch die „großindustrielle Herstellung zur Bildung von Schadstoffen im Bereitungsprozess“ kommt sowie durch den Einsatz kostengünstiger, hochraffinierter Zutaten von einer Vitamin- und Mineralstoffarmut auszugehen ist.

Nahrungsergänzungsmittel ist nicht gleich Nahrungsergänzungsmittel – die Vielfalt der Produkte ist groß und auch die Qualität hat eine hohe Bandbreite. Was sagen die Expert:innen zu unterschiedlichen Produkten und Angeboten, wie Whey-Protein, BCAA-Kapseln, Pre-Workout Booster, Kreatin-Kuren, Vitaminpräparten und mehr.

Mythos oder Fakt 7: „Krafttraining funktioniert nicht ohne zusätzliches Eiweiß“

Die Expert:innen sind sich einig: Normal trainierende Fitnesssportler:innen, können genügend Eiweiß über die normale Ernährung zuführen.
„Ernährungsanalysen zeigen, dass mit einer ausgewogenen Mischkost ausreichende Mengen Eiweiß und somit Aminosäuren aufgenommen werden. Wichtig ist jedenfalls in Bezug auf Krafttraining den „Zeitpunkt der Eiweißaufnahme zeitnah zum Training zu planen.“ – so Mag. Isabella Grabner-Wollek.  
Pharmazeut Dr. Thomas Riedl weiß, dass Whey-Protein für den menschlichen Bedarf prinzipiell ein günstiges Aminosäureprofil aufweist, doch kommt es auch auf den jeweiligen Eiweißanteil der Hauptmahlzeiten an. Auch für eine Einnahme von verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA) sieht Dr. Riedl im Hobbybereich bei einem normalen Trainingsumfang eine:r Freizeitsportler:in keinen Supplementierungsbedarf.
Auch Sportmediziner Dr. Robert Fritz ist kein Gegner von hochwertigen Eiweißprodukten in bestimmten Situationen. Er sieht allerdings auch keine Notwendigkeit einer Supplementation bei einem normalen Trainingsumfang eine:r Freizeitsportler:in.

Mythos oder Fakt 8: „Vitamine sind gesund – davon kann man nie genug haben“

Bei der Einnahme von Vitamin- oder Mineralstoffpräparaten, sowie bioaktiven Pflanzenstoffen empfiehlt die Ernährungswissenschafterin, diese nur einzusetzen, wenn auch ein Mangel diagnostiziert wurde, da beispielsweise „die Zufuhr antioxidativer Vitamine in höheren Mengen sogar kontraproduktiv auf die Gesundheit und Regeneration wirkt.“
In Bezug auf Vitamin- und Mineralstoffpräparate führt Pharmazeut Dr. Riedl aus, dass es durchaus Kombinationspräparate am Markt gibt, die „rund und begründet zusammengesetzt“ sind. „Gegebenenfalls ist auf die Überschreitung sinnvoller Dosierungen zu achten, wenn mehrere Produkte gleichzeitig verwendet werden. In diesem Fall wären Monopräparate oder schlank zusammengesetzte Kombinationen anzustreben.“
Dr. Robert Fritz geht in seiner Ordination, wie folgt vor: „Messen, therapieren und kontrollieren – ist der Weg, den ich für sinnvoll erachte.“ Das bedeutet – „die Basisernährung muss passen, eine Mangelversorgung kann jedoch mit hochwertigen und sauberen Nahrungsergänzungsmittel aufgefüllt werden.“

Mythos oder Fakt 9: „Booster bringen Motivation fürs Training“

Bei Pre-Workout-Boostern empfiehlt die Ernährungswissenschafterin eine individuelle Bewertung. „Gerade bei Pre-Workout-Boostern ist bekannt, dass verschiedene Wirkstoffe oft in sehr hohen Mengen enthalten sind. Durch diese Kombination kann es immer wieder zu Verträglichkeitsproblemen kommen. Diese Produkte können auch mit unerlaubten Substanzen wie z.B. Stimulanzien kontaminiert sein.“
Gegenüber Pre-Workout-Boostern steht auch Dr. Riedl sehr kritisch, insbesondere wenn es sich bei den Inhaltsstoffen um Stimulanzien handelt, da sich „Hobbysportler:innen des möglichen Risikos mit Sicherheit nicht bewusst“ sind, wie „der unter Umständen schwerwiegenden Gefahren im Gefäßbett und Herz-Kreislauf-System.“
Dr. Robert Fritz lehnt Pre-Workout-Booster komplett ab. „Nahrungsergänzungsmittel können und dürfen die Regeneration verbessern, damit ich wieder schneller und öfter Lust auf Sport bekomme. Alles andere ist für mich schon eine Vorstufe zum Doping. Die Motivation für Training kann nicht von Boostern kommen, sondern muss anders gefunden werden“, – so der Mediziner.

Mythos oder Fakt 10: „Kreatin, das Wundermittel für den Fitnesssport“

Auch beim Einsatz von Kreatin empfiehlt Mag. Grabner-Wollek eine individuelle Analyse der Ausgangslage. „Der Einsatz kann in speziellen Situationen Sinn machen, da z.B. der Muskelaufbau unterstützt werden kann. Es werden aber auch negative Effekte diskutiert: unerwünschte Gewichtszunahme, Muskelkrämpfe, -zerrungen, Sehnenprobleme sowie Magen- und Darmunverträglichkeiten.“  
Für Dr. Thomas Riedl ist Kreatin dagegen eine „Schwellensubstanz zwischen noch erlaubt und Doping, da seine Zufuhr stets mit einer konkreten Erwartung an eine physische Leistungssteigerung erfolgt. Sinn macht Kreatin nur bei kurzzeitigen repetitiven Belastungen. Im Fitnesssport hat Kreatin nichts verloren, ausgenommen Vegetarier, die einen deutlich reduzierten Kreatingehalt in der Muskulatur haben. Zu überlegen ist zudem, ob die ebenfalls zwingend auftretende Wassereinlagerung und Gewichtszunahme mit den sportlichen Ambitionen vereinbar ist.“
Auch Dr. Robert Fritz hält davon wenig: „Kreatin ist zwar nicht verboten, hat aber, außer im Hochleistungsbereich, für mich keinen Platz. Sollten Sportler:innen 6 Tage die Woche trainieren und tlw. 2 Trainingseinheiten pro Tag absolvieren, kann es in Erwägung gezogen werden. Im Hobbysport macht es, meiner Meinung nach, keinen Sinn!“

Mythos oder Fakt 11: „Im Leistungssport geht es nicht ohne zusätzliche Produkte“

Im Leistungssport gibt es beispielsweise Triathlet:innen, die in Wettkampfphasen bis zu 10.000 kcal pro Tag benötigen. Was sagen die Expert:innen - ist das mit normaler Ernährung noch möglich?

Die Ernährungswissenschafterin Mag. Grabner Wollek ist sich sicher, dass „bei einer Zufuhr von 10.000 kcal schon sehr schwierig wird diese Menge über die Ernährung abzudecken, da in der Wettkampfphase aufgrund der Belastungssituation die Verdauungsleistung vermindert ist. In diesen Fällen ist der Einsatz von Nahrungsergänzungsmittel sicherlich hilfreich, da sie konzentrierte und leicht verdauliche Energie liefern.“
Auch Pharmazeut Dr. Riedl stellt sich die Umsetzung mit normaler Ernährung schwierig vor und verweist auf bestehende Beispiele von Speiseplänen in der Sporternährung von P. Konopka und M. Lamprecht et al., welche durch Hochrechnung auf diese Bedarfsmenge nicht mehr realisierbar wären. „Rechnerisch wäre die Angelegenheit ja mit etwas mehr als einem Kilogramm purem Schweineschmalz erledigt, dieser Vorschlag ist aber in der Praxis wohl nicht umzusetzen. Die Gründe, warum es fast nicht möglich ist, während intensiver Trainingszyklen oder bei Mehrtagesbewerben täglich mehr als 7000-8000 kcal mit der normalen Ernährung aufzunehmen, sind in erster Linie die begrenzte Aufnahmekapazität des Magen-Darm-Traktes und die Notwendigkeit der Aufspaltung der Nahrung.“
Mediziner Dr. Fritz meint dazu, dass „das nur schwer möglich ist. Eine schlechte Basisernährung und Unmengen an Riegel sind aber auch nicht die Lösung. Die Basis muss genau überlegt werden. Ein hoher Anteil an Kohlenhydraten ist entscheidend, dazu pflanzliche Fette, um den Kalorienbedarf decken zu können, reichlich Eiweiß für den Muskelaufbau und die Regeneration. Während der Trainingseinheiten kann/sollte hochwertige Sportnahrung verwendet werden. Maltodextrin bei Ausdauerbelastungen und Whey oder pflanzliches Eiweiß im Krafttraining. Dann ist auch ein so hoher Energiebedarf ohne gesundheitliches Risiko abdeckbar.“

Mythos oder Fakt 12: „Der Verzicht auf Kohlenhydrate als neues Wundermittel im Sport.“

Auch das Thema Kohlenhydrate bzw. Low-Carb-Ernährung ist immer wieder ein heiß diskutiertes Thema. Was halten die Expert:innen vom Verzicht oder Reduktion von Kohlenhydrate im Fitnesssport? bzw. generell im Sport?

Für Ernährungswissenschafterin Mag. Grabner-Wollek ist es eindeutig. „Kohlenhydrate sind bei intensiven Belastungen die wichtigste Energiequelle. Der Bedarf sollte deshalb an das Ziel (z.B. Gewichtsmanagement), die Trainingsdauer und Intensität angepasst bzw. gegebenenfalls reduziert werden. Dies sollte aber nur nach Absprache mit einer Fachkraft erfolgen, um etwaige negative Auswirkungen (schlechtere Leistungsfähigkeit, Regeneration, etc.) zu vermeiden.“
Auch Mediziner Dr. Fritz empfiehlt eine „personalisierte periodisierte Ernährung“. „Es gibt Trainingsphasen, in denen die Zufuhr an Kohlenhydraten reduziert werden kann und soll und Phasen, in denen Sportler:innen ohne Kohlenhydrate nicht auskommen werden. Das richtige Verhältnis ist entscheidend“ - so der Mediziner. Vom völlige Verzicht auf Kohlenhydrate (ketogene Ernährung) rät er jedoch eher ab: „Empfehlen würde ich eine ketogene Ernährung niemandem, ich habe aber ein paar Sportler:innen in Betreuung, die das unbedingt so wollen und die ich dabei betreue – möglich ist es, als sinnvoll erachte ich es nicht.“
Dr. Riedl bezieht sich bei der Kohlenhydratzufuhr auch auf die jeweilige Art des Trainings bzw. den Unterschied zu Wettkampfphasen. In Bezug auf den Fettstoffwechsel gibt er an, dass „vor allem die Kohlenhydratzufuhr während des Trainings das Fettstoffwechseltraining verhindert, weil Kohlenhydrate wesentlich rascher umgesetzt werden und der Organismus stets den einfacheren Weg wählt.“ In Bezug darauf teilt er die Meinung „das normale Ausdauertraining mit weitgehend leeren Glykogen-Speichern durchzuführen, d.h. keine Extrarationen von Sportriegeln, Brot oder Nudeln vor dem Sport. Insbesondere die morgendlichen Trainingseinheiten sind ohne Vorlage des üblichen Frühstücks und von zuckerhältigen Sportgetränken zu absolvieren und mit 60 bis max. 90 Minuten zu begrenzen. Kohlenhydrate sollen allerdings im Tempotraining bereitstehen, um die harten Einheiten durchzustehen.“ Er betont jedoch auch, dass nicht jeder Körper für diese Ernährungsform geschaffen ist und daher zuvor eine entsprechende Stoffwechselanalyse durchgeführt werden sollte.

Abschließend noch einige Tipps der Experten:

Ernährungswissenschafterin Mag. Isabella Grabner-Wollek empfiehlt:

  1. Abwechslungsreich essen - regional und saisonale Produkte bevorzugen – so ist die Nährstoffdichte höher
  2. Für die optimale Nährstoffzufuhr – leicht verdauliche Mahlzeiten rund um das Training
  3. Menge und Zusammensetzung der Mahlzeiten an das jeweilige Ziel anpassen

 

Pharmazeut Dr. Thomas Riedl empfiehlt:

  1. Broccoli, Weißkohl, Rosenkohl und Karfiol enthalten wichtige Schutzstoffe
  2. Eine genetische Stoffwechselanalyse kann die individuelle Ausgangslage bewerten und bei der Erreichung individueller Ziele helfen
  3. Nahrungsergänzungsmittel sind nicht zur Leistungssteigerung im Sport gedacht, sondern zur Gesunderhaltung, wenn Reserven durch die Ausübung von Sport überstrapaziert werden

 

Mediziner Dr. Robert Fritz empfiehlt:

  1. Die Basisernährung sollte reichlich Eiweiß, genug Kohlenhydrate, möglichst wenig Fleisch, viel Fisch, einem hohen Anteil an Gemüse und nicht zu viele Obstsmoothies enthalten
  2. Kein Junk Food oder stark verarbeitete Produkte in stressigen Zeiten - lieber ein hochwertiges Produkt aus der Sportnahrung (aus hochwertigen Rohstoffen und mit wenig Zusatzstoffen)
  3. Frisch zu kochen ist die beste Ernährung – am Wochenende vorkochen!

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